Der Gießener Ring

„Die mittelhessische Universitätsstadt Gießen ist
bekannt für ihr großzügiges Angebot an stadtnahen
Autobahnanschlüssen. Dieses Prinzip der
verkehrstechnischen Vollerschließung wurde […] durch den sogenannten „Gießener Ring“ außerstädtisch verwirklicht. […] durch den vierspurigen Anlagenring auf innerstädtische Verhältnisse übertragen. Gießen ist die Asphalt gewordene Realisierung der alten ADAC-Parole von der freien Fahrt für freie Bürger.“

Schuchmann/Mächler, Architektursünden in Hessen,
Wiesbaden 2009, S. 78

„Kein anderes deutsches Mittelzentrum verfüge über
eine komplette vierspurige Umfahrung, bestätigte ein
Vertreter der Bundesregierung bei der Einweihung. Dass Gießen den »Ring« erhielt, lag sicher daran, dass es ein bedeutender deutsch-amerikanischer Militärstandort war mit mehreren tausend Soldaten und dem Europa-Logistikzentrum der US-Armee. Offiziell als Grund genannt wurde die Verkehrsbelastung der Innenstadt, durch die auch Lkw-Fernverkehr floss, […]. Die Umgehungsstraßen nutzen sollten außerdem alle, die innerhalb der Stadt unterwegs sind – etwa zwischen den verstreuten Uni-Standorten, auf dem Weg zum Einkaufen oder in die damals noch großen Industriebetriebe.“

Der Gießener Ring wird 40 Jahre alt, Gießener Allgemeine Zeitung, 23.11.2019

 

„Der Ring gebaut Anfang der Siebziger Jahre. Weil sie vorher, weil sie die ganzen Sechziger Jahre hindurch, weil sie seit den späten Fünfziger Jahren schon im Fernesehen in den amerikanischen Vorabendserien genau solche Stadtautobahnen zu sehen bekamen. Und damit sie ab jetzt und in Zukunft auf dem Ring noch zeitiger
heimkommen zu den Vorabendkrimiserien. Spannend und ohne Ende. Und müssen seither, sooft sie auf dem Ring, müssen sooft sie in Auto steigen, müssen jedesmal diese Vorabendserien nachspielen. Insgeheim. Jeder für sich. Immer weiter. Und außer ihm weiß das keiner. Braucht keiner zu wissen. Behält man für sich.“

Peter Kurzeck, Vorabend, 2011, S. 539

„Zur Entlastung also der Gießener Ring, aber schafft in Wahrheit noch mehr Verkehr. Zusätzlich produziert er ihn. Weil er so praktisch ist. Jetzt fahren die Leute nicht mehr vom Schiffenberger Weg in die Grünberger Straße oder von der Bismarckstraße zum Oswaldsgarten, wo man sowieso besser zu Fuß geht. Sondern
immer erst auf den Gießener Ring und dann auf dem Gießener Ring am Ortsrand der Stadt von einer Abfahrt zur anderen. Zurück dann im Westen. Die andere Seite. Abwechslung. Immer um die Stadt herum. Und weil es so praktisch ist, gleich auch öfter. Und weil es so schnell geht, schnell noch ein Stück weiter.“

Peter Kurzeck, Vorabend, 2011, S. 172