Kunststiftung des Landes Sachsen-Anhalt, Halle (Saale)

 

T. O. Immisch

 

Rede zur Eröffnung der Ausstellung

Reimund Schmidt-De Caluwe beschäftigt sich seit Jahrzehnten intensiv mit Straßenfotografie. Straßenfotografie, das ist ein mittlerweile altehrwürdiges fotografisches Genre. Es setzt ein um 1900, etwa mit Alfred Stieglitz und Edward Steichen, um nur zwei ganz große Namen zu nennen. In Deutschland ist einer der, wenn nicht der Erste, der das macht, der bis heute als Zeichner bekannte, als Fotograf aber immer noch weitgehend ungekannte Pinselheinrich, Heinrich Zille.

Straßenfotografie zeichnet sich durch Beiläufigkeit aus, entsteht – meist – en passant, im Vorbeigehen. Ihr geht es nicht um Haupt- und Staatsaktionen (außer, sie finden gerade statt), sie sucht weniger, als dass sie findet: Begebenheiten und Begegnungen, im Alltag. In der Straßenfotografie geht es um Befindlichkeiten von und Beziehungen zwischen Menschen, untereinander oder, manchmal im Moment der Aufnahme, zum Fotografen. Diese fotografische Praxis hatte ihre Hochzeit in den fünfziger und sechziger Jahren. In der Fotogeschichte hat sich dafür der Begriff des „human interest“ durchgesetzt, eben das  mit-menschliche Interesse.

Schmidt De Caluwe erfasst – mehr oder weniger – Situationen, macht Situationsportraits. Dabei sucht er weniger das Wesen der Portraitierten zu erfassen, sondern mehr die Situation selbst, das, was zwischen den Menschen geschieht, sich ereignet, Energie, die strömt oder steht, Kommunikation. Manchmal auch mit dem Fotografen, wir sehen einverständige Portraits, der Blick in die Kamera gerichtet. Oder wir sehen schlicht Beobachtungen „von außen“, außerhalb der beobachteten Situation aufgenommen.

Ganz entscheidend für die Bilder und ihre Wirkung: Mimik, Gestik, Körpersprache – so weit die Aufnahmeorte von uns entfernt sein mögen, so nah kommen uns die Menschen in ihrem festgehaltenen, angehaltenen Verhalten. Häufig treibt der Fotograf sein Spiel mit dem Bild im Bild, stiftet Raumirritationen, neue Bedeutungsebenen, die lassen uns genauer hinsehen. Bisweilen hat er auch einen leicht ironischen Blick, erfasst Situationskomik.

Seine Farbbilder sind farbig, nicht bunt, mit schönen, harmonischen Farbklängen, die die Bildwirkung unterstreichen, unterstützen, steigern. Manche der gezeigten Bilder sind auch geronnene Geschichte, gleichsam Reste politischer Ereignisse, vergangenen Engagements.

Ersichtlich ist das soziale Interesse des Fotografen, eben eines nicht (nur) am Pittoresken, sondern an Ähnlichkeiten und Unterschieden menschlichen Verhaltens zu verschiedenen Zeiten, an verschiedenen Orten, in unterschiedlichen sozialen Lagen. Seine Bilder sind durchweg zugewandte, von Freundlichkeit getragene, gehalten von der je gefundenen und gewählten Form, die dem schweifenden Blick Halt gibt – erst dem des Fotografen, nun dem des Betrachters.

Schmidt-De Caluwe bevorzugt asymmetrische Kompositionen, schafft derart Spannung und – manchmal – Dynamik. Bewegtes kommt in seinen Bildern zur Ruhe, Ruhiges setzt etwas in uns in Bewegung. Die doppelte Dialektik von Bewegung und Ruhe wie von erblicken, anblicken und angeblickt werden mündet in Eingelassensein, im momentanen Einswerden mit dem Anderen und den Anderen.

T.O. Immisch ist Kustos der Sammlung Plastik und Fotografie
am Kunstmuseum Moritzburg Halle (Saale)

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Vernissage

Blick in die Ausstellung